Lieferketten und Nachhaltigkeit

Abbildung: KI und nachhaltige Lieferketten (mit Hilfe Copilot/ppt erstellt/ © M. Semadeni)
Einleitung
Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz sind vielversprechend, um ein nachhaltigeres Wirtschaften zu erreichen. Zentral dabei ist die Ressourcenschonung um unabhängiger von der Bereitstellung natürlichen Ressourcen zu werden oder in schärferen Worten, die globale Ausbeutung natürlicher Ressourcen für das Wachstum einer unidirektionale Wertschöpfungskette zu minimieren.
Die Mechanismen der Kreislaufwirtschaft können Wert schaffen, indem Abfall als sekundäre Ressource betrachtet wird. Um eine Anpassung des Geschäftsmodels in Anlehnung einer Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, müssten einerseits die Lieferketten detailliert bzw. daten-basiert verstanden werden können. Andererseits wären Produktion und Konsum den Aspekten des Kreislaufs anzupassen, z.B. bei Produktedesign und Abfallvermeidung.
Eine Einschätzung von Kreislauffähigkeit verlangt eine hohe Datenverfügbarkeit mit gesicherten/verifizierten Daten zu den Produkten, und zwar vom elementaren Rohstoff über Materialien und ihre Zusammensetzung, dem Design (Einzel-bzw. Bauteilen), den Produktelebensweg (inkl. möglicher Reparatur und Upcycling) bis zum sekundären Rohstoff (Nebenströme/Ausschuss/Recycling). Das funktioniert nur über die Digitalisierung von Lieferketten und der öffentlichen Nutzbarkeit von fälschungssicheren, produktspezifischen Daten.
Inwiefern dafür die ‘Distributed Ledger’ Technologie (DLT) oder Blockchain-Technologie eine Lösung wäre, wird im Buch «Blockchain-, IoT, and AI Technologies for Supply Chain Management», V. Grover et al., Apress, 2024, umfassend dargelegt. Im Folgenden wird zum Thema ‘Lieferkette und Nachhaltigkeit’ ein kurzer Überblick gegeben.
Datenbasiertes Lieferkettenmanagement
Lieferketten umfassen den Fluss von Gütern und Dienstleistungen von ihrer Entstehung bis zur Auslieferung an den Endkunden. Die Entstehung beinhaltet die Bereitstellung bzw. Verfügbarkeit von Rohmaterial, Zusatzmaterialien, Zwischenprodukte, Hilfsmitteln, dessen zeitgerechter Lieferung und Verarbeitung zu Produkten. Mit der Auslieferung an den Endkunden können je nach Geschäftsmodell weitergehende Dienstleistungen verbunden sein wie Wartung, Reparatur, Ersatz und Rücknahme der Produkte.
Beim Lieferkettenmanagement geht es um die Optimierung der Kette von der Entstehung bis zur Auslieferung oder, je nach Geschäftsmodel, bis zur Rücknahme, Wiederverwendung und/oder Wiederverwertung, Rezyklieren bzw. Entsorgung der Produkte. Bei der Optimierung steht Kosteneffizienz und Sicherheit an oberster Stelle, wobei betriebliche, abfalltechnische, kundenorientierte und wettbewerbsorientierte Aspekte wichtige Rollen spielen, welche auch gegensätzliche Wirk- bzw. Effizienzpotentiale haben können. Das Lieferkettenmanagement muss eine Fülle von Prozessen und Stakeholder integrieren und somit Schnittstellen zu Einkauf, Betrieb, Logistik und Marketing unterhalten können. Wird neben einer eher klassischen Optimierungsstrategie noch eine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt, müssen weitere Aspekte im Bereiche Umwelt, Gesellschaft und Geschäftsführung berücksichtigt werden. Zentral dabei ist, dass ein professionelles Datenmanagement aufgebaut wird, um Effizienzpotentiale und Verbesserungsmassnahmen analysieren zu können, um damit schrittweise eine nachhaltigere Lieferkette zu fördern.
Das Daten- und Informationsmanagement betrifft viele Bereiche des Lieferkettendesigns, der Integration neuer Technologien bspw. die KI-basierte Datenanalyse, Lieferantennetzwerke, neue Arten der Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden in Bezug zur Kreislaufwirtschaft, aber auch die Automation von Lagerhausprozessen, das Management von Inventaren gleichzeitig über die gesamte Lieferkette sowie Logistik und Transport. Ein Meer von Daten mit sich kontinuierlich ablösender Daten-Flut und Daten -Ebbe zu bewältigen scheint fast unmöglich; doch mit der Einführung von KI-Anwendungen zur Datenverarbeitung möglicherweise schon.
Betrachtet man die Lieferkette aus Sicht der Zusammensetzung eines Produkts und dessen Beurteilung wie nachhaltig und kreislauffähig diese ist oder werden könnte, müssen gesicherte Daten verfügbar sein, die über jeden Schritt in der Lieferkette vom Rohstoff bis zum Produkt erhoben, migriert und mitgetragen würden. Doch um welche Daten handelt es sich dabei und wie können die Lieferanten diese über die gesamte Lieferkette gesichert bereitstellen?
Vielleicht könnten die Daten mittels QR-Codes und Produkt-Design-Informationen (PDI) auf Lieferkettennetzwerke hochgeladen werden, und/oder Distributed-Ledgers / Blockchains könnten all die auf dem Weg durch die Lieferkette enorm wachsenden Datensätze für alle Nutzer verfügbar machen und sicher verwalten? Damit könnte die Rückverfolgbarkeit für ein Produkt gewährleistet werden, beispielsweise woher die verschiedenen Teile oder Anteile der Produktzusammensetzung und der Materialien aus Rohstoffen, Zusatzstoffen und Hilfsstoffen stammen. Weiter könnten die Datensätze enthalten wieviel Energie über die Lieferkette vom Rohstoff bis zum Produkt aufgewendet wurde (Teil der Lebenszyklusanalyse eines Produkts) und wieviel Treibhausgase (THG) dabei emittiert wurden. Somit könnten Lieferketten in ihrer Energie- und THG-Effizienz verglichen werden. Weitere Fragen wären wie viel Abfall und welche Art von Abfällen über die Lieferkette entstanden sind und ob diese Abfälle als sekundäre ‘Rohstoffe’ / Ressource in einen Kreislauf eingeführt wurden, oder verbrannt und deponiert wurden. Die Datensätze könnten auch Information zu Zertifizierungen enthalten oder umgesetzte Massnahmen zur Verbesserung der Ressourceneffizienz, und zum Schutz der Umwelt, des Klimas und der Biodiversität nachvollziehbar aufführen.
So könnte die schwierige und zeitaufwändige Suche nach vertrauenswürdigen Datenquellen für nachgelagerte Datenantragsteller/-nutzer vereinfacht sowie ein einheitlicher Datenstandart gewährleistet werden. Der Bedarf an vertrauenswürdigen Partnern zur Erhebung und Validierung der Datensätze über die gesamte Lieferkette bleibt jedoch für jedes Kettenglied bestehen. Sie müssten die Vergleichbarkeit der Eingabewerte aufgrund standardisierter Datenerhebungen überprüfen können. Oftmals dürften bei Lieferkettenanalysen ausgaben-basierte Erhebungen verzerrt und aktivitäts-basierte Erhebungen schlicht zu komplex sein. Auch Unterschiede zwischen Standards von wissenschaftlichen Daten und Unternehmensdaten sind zu berücksichtigen, wobei Letztere oft auf Schätzungen basieren. Je mehr Messungen zur Erhebung tatsächlicher Daten statt Schätzungen durchgeführt werden, desto grössere Abweichungen beim Ausgangs-/Referenzzustand (Referenz- bzw. Basislinien) können entstehen.
Wie baut nun ein Lieferant Kapazitäten auf, um mit komplizierten Datensätzen richtig umzugehen, die Unterstützung durch KI erfolgreich einzubauen und der Gefahr von Fehlinterpretationen durch die KI aufgrund unvollständiger Datensätze, falscher Daten oder Daten geringer Qualität entgegenwirken zu können? Alternativ könnte dieses Datenmanagement ausgelagert werden. Entsprechend könnte sich eine sogenannte Datenwertschöpfungskette entwickeln, eine Wertschöpfungskette für das Identifizieren, Erheben, Sammeln, Veröffentlichen, Aktualisieren und Bewerten von nachhaltigkeits- und naturbezogener Datensätzen, welche in die Distributed-Ledgers / Blockchains eingeführt würden (Daten-Miners). Zentral für die Sachbearbeitung durch KI-basierte Systeme sind maschinenlesbare Datenformate sowie eine nachfolgende Überprüfung der Konsistenz aggregierter Daten. Um Kosten zu optimieren wären die Häufigkeit des Nachführen von Datensätzen und deren offener Zugriff zu bestimmen.
Um eine Finanzierung eines solchen Datenwertschöpfungssystems zu ermöglichen, müssten einerseits Anreize und rechtliche Anforderungen geschaffen werden. Zentral wäre aber die Kunden vom eigenen Nutzen genereller Daten-Zugänglichkeit, -Vergleichbarkeit, -Standardisierung (Indikatoren, Metriken) für ihre eigenen Geschäftsprozesse überzeugen zu können. Die Finanzierung müsste nach ordnungsgemäss nachgewiesenen Geschäftsfällen erfolgen. Öffentlich zugängliche Datensätze können jedoch nicht kostenlos sein, da jede Finanzierung eine Rendite voraussetzt.
Natürlich müsste die Datenwertschöpfungskette auch eine Datenprüfung durch Dritte und die Ausbildung von Datenmanager und Prüfern beinhalten, z.B. bezüglich Prinzipien und Prozesse. Welche Daten sollten in definierte Geschäftsprozesse Eingang finden und freigegeben werden? Wie können Datenlücken gemeinsam mit anderen Industrien und Partnern analysieren und geschlossen werden? Je nach Wesentlichkeitsbewertung (siehe weiter unten) können für unterschiedliche Unternehmen andere Daten wichtiger sein oder könnten im Datensatz gar fehlen.
Nachhaltige Lieferkette und Anpassungen von Geschäftsmodellen
Wird Nachhaltigkeit angesprochen, rücken meistens Aspekte von Umwelt und Klima in den Vordergrund, welche das Geschäftsmodel allenfalls stärker beeinflussen könnten als andere Nachhaltigkeitsaspekte. Neben regulatorischen Anforderungen betreffend Umweltbelastung und Klimawandel, gehören vermehrt Kundenbedürfnisse für nachhaltigere Produkte und entsprechender Transparenz über den Ursprung von verwendeten Materialien und Hilfsmittel und vieles mehr. Auch im Bereich Finanzierung wird vermehrt verifizierbare Transparenz in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung inklusive nachhaltiger Lieferketten verlangt (z.B. Scope 3 bei der THG-Bilanzierung). Damit ergeben sich durch Anpassungen von Geschäftsmodellen Chancen, sich von der Konkurrenz abzuheben. Nachhaltigere Lieferketten können das Wirtschaftssystem schrittweise in Richtung ‘Grüne Wirtschaft’ transformieren helfen.
Der Anteil der Lieferkette (Scope 3) an den Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft im Vergleich zu den Anteilen aus Betrieb und Versorgung (Scope 1 und 2) ist für die meisten Unternehmen deutlich höher, wenn nicht gar der hauptsächlich bestimmende Treiber/Faktor z.B. in Sachen THG-Emissionen. Die Forderungen nach Transparenz nachhaltiger Lieferketten führt zu umfangreichen Befragungen von Lieferanten zur Datenerfassung. Wären Daten und Informationen über eine – wie oben erwähnt – Datenwertschöpfungskette einfacher zugänglich, könnten die Kosten der Informationsbeschaffung gegenüber Wettbewerbsvorteilen und Effizienzpotentialen besser eingeschätzt werden.
Für viele Unternehmen werden nachhaltigkeits- und naturbezogene Daten und Informationen immer unverzichtbarer, um auch ihr eigenes Risikoprofil zu justieren oder über die Verwendung der Datensätze beispielsweise ihre eigene Geschäftsprozesse zu optimieren und Berichtsstandards einfacher erfüllen zu können. Datengetriebene Geschäftsmodelle, können somit eine Chance sein die Wirtschaft Richtung Nachhaltigkeit zu verändern, z.B. über die Einführung von datengetriebenen Lösungen für Ressourceneffizienz und CO2-Emissions-reduktionen. Dies gilt vermehrt auch für KMUs, sodass ein Aufbau einer gemeinsamen Plattform für KMUs für Nachhaltigkeitsinformationen sehr nützlich wäre, insbesondere bezüglich Lieferketten (Scope 3). Eine solche Plattform wäre Teil der Datenwertschöpfungskette und von den Stakeholdern und ihren freigegebenen Daten und Informationen abhängig. Der Datenumfang müsste sich jeweils auf das gesamte Unternehmen beziehen und nicht nur auf Betrieb und Produktion, sowie vorgegebene Standards befolgen, wie z.B. der ‘Sustainable Supplier Reporting Standard’ (SSRS). Im Weitern wären längerfristige Beschaffungsbeziehungen, Offenheit, Transparenz und konfliktlösungsorientiertes Zusammenarbeiten wichtig, um gemeinsame Nachhaltigkeitsplattform zu entwickeln und zu betreiben.
Der Aufwand Nachhaltigkeit vollständig ins Geschäftsmodell zu integrieren ist sehr hoch, insbesondere für Scope 3. Mit einer gemeinsamen Plattform beziehungsweise einer Förderung der Datenwertschöpfungskette für Nachhaltigkeit könnten Effizienz erhöht und Kosten eingespart werden. Dazu sind auch günstige oder gar kostenlose Werkzeuge für KMUs nötig, wie kompatible Software für Daten und Informationsmanagement. Werkzeuge, welche auch im Bereich des Risikomanagements zu einer umfassenden Business-Intelligenz gehören. Finanzzahlen sollten auch mit Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Kosten in Zusammenhang gestellt werden können, das heisst ‘Umwelt’-Buchhalter dürften somit immer wichtigere Rollen spielen.
Wesentlichkeitsbewertung
Unternehmen erzählen ihre Geschichten der Nachhaltigkeit in Form von Berichten. Die Berichterstattung muss aber auf guten Daten basieren, die überprüfbar sind. Die sehr vielen Datenanforderungen verschiedener Standards erschweren die Implementierung von Nachhaltigkeit zusehends. Es gilt also in erster Linie Prioritäten bei der Datenbeschaffung innerhalb der verschiedenen Geschäftsbereiche zu setzen. Dazu kann eine sogenannte Wesentlichkeitsbewertung vorgenommen werden, sodass die Bereiche und Prozesse mit den wichtigsten Wirkungen in Bezug auf Umwelt und Gesellschaft nachvollziehbar dargestellt werden können. Dabei ist es wichtig Wirkungen von Umwelt und Gesellschaft auf das Unternehmen selbst und Wirkungen der Unternehmung auf Umwelt und Gesellschaft zu analysieren (doppelte Wesentlichkeit). Um der Komplexität von Nachhaltigkeit gerecht zu werden, müssen Unternehmen pragmatisch und schrittweise vorgehen. So können im eigenen Unternehmen messbare Fortschritte erzielt werden, statt nur Berichte mit Zielvorgaben und Absichten bzw. Massnahmenplänen zu publizieren.
Marco Semadeni, Dr. sc. nat. ETH
23. Januar 2025