Nachhaltigkeit und nachhaltiges Finanzwesen
Auch das Finanzwesen setzt sich seit Jahren mit dem Begriff ‘Nachhaltigkeit’ und dessen Einführung in Finanzbereiche auseinander. Aber was heisst ‘nachhaltiges Finanzwesen’ oder ein ‘nachhaltiges Investieren’? Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Einen nachhaltigen Gewinn erwirtschaften – heisst das nun, dass ein Gewinn sich möglichst dauerhaft wiederholt und mittels Wirtschaftswachstum sich möglichst dauerhaft steigert? Eine solche vereinfachte Gleichsetzung von Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit wäre nur insofern legitim, als dass sämtliche, erzeugten Externalitäten unseres Wirtschaftens ins Wirtschaftssystem internalisiert worden wären. Das ist jedoch bei Weitem nicht der Fall.

Der Himmel kennt keine Grenzen – Profitmaximierung auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft? / © M. Semadeni
Der Ursprung des Begriffs ‘Nachhaltigkeit’ entstand aus der der umwelt- und sozialwissenschaftlichen Forschung, wobei sich der Begriff als überspannende Betrachtung unseres Wirtschaftens und dessen (Aus)Wirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft versteht (Dreisäulen-Prinzip). Die in Finanzbereichen verzerrenden oder verwirrenden Begrifflichkeiten, z.B. jene des ‘verantwortungsvollen Investierens’ oder ‘wirkungs-bzw. zielgerichteten Investierens’ gegenüber dem Begriff des ‘nachhaltigen Investierens’, beispielsweise auf Basis sogenannter ESG-Standards (ESG: environmental, social, governance), führen seit einiger Zeit zu Beschwerden und Vorwürfen gegenüber Finanzinstituten und -intermediären systematisch Werte der Investoren zu vernichten bzw. Profit zu vermindern oder aber - im Gegenteil – mit Finanzprodukten sogenanntes „Greenwashing“ zu betreiben.
Nachhaltigkeit ist jedoch ein wichtigster Schlüsselbegriff, da die natürlichen Ressourcen des Planeten durch anthropogene Aktivitäten stark gefährdet bzw. mit atemberaubender Geschwindigkeit verloren gehen. Negative Folgen anthropogener Aktivitäten, welche sich - wie bei den anthropogenen Emissionen von klimaschädlichen Gasen (Klimawandel) – auf die Umwelt und die sozialen und wirtschaftlichen Komponenten der Gesellschaft auswirken, dürften in Zukunft vermehrt zu signifikanten (systemischen) Belastungen der Gesellschaft und des Wirtschaftssystems führen. Entsprechend werden Standards entwickelt, um solchen negativen Auswirkungen entgegenzuwirken (Mitigation) oder bestimmte Aktivitäten gar gesetzlich zu unterbinden. Auch wird beobachtet, dass sich Wirtschaftsentitäten vermehrt auch damit befassen ihre Strukturen und Aktivitäten den sich schnell ändernden Umweltbedingungen anzupassen (Adaptation). Dabei rücken in der Unternehmenswelt Umweltmanagement und Nachhaltigkeit enger zusammen.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen basieren auf erhobenen Daten aus dem Umweltbereich, sowie den sozialen und wirtschaftlichen Bereichen der Unternehmung. Diese Daten werden entsprechend vorgegebener Standards regelmässig überprüft und rapportiert. Die Berichte können mit anderen Unternehmen der Branche verglichen werden (Bewertung gegenüber Benchmarks) um beispielsweise Verbesserungspotenziale zu eruieren. Wichtig wäre dabei auch die Finanzbereiche des Unternehmens (Art und Weise des internen Investierens) und die Art und Weise der Unternehmensführung (Governance) zu berücksichtigen, sowie ihre Lieferketten in der Bewertung miteinzubeziehen (nachhaltiges Lieferkettenmanagement). Mit Einbezug der Finanzbereiche und des Lieferkettenmanagements werden die Anforderungen an eine Nachhaltigkeitsberichterstattung enorm ausgedehnt.
Um solchen Anforderungen gerecht zu werden, können sogenannte ESG-Standards herangezogen werden. ESG- Kriterien bzw. -Faktoren (environmental, social, governance factors) basieren auf dem „Dreisäulen-Prinzip der Nachhaltigkeit“. Dabei gilt es zu differenzieren, inwiefern Nachhaltigkeit im Rahmen des ESG-Standards von Unternehmen und Investoren bei der Bewertung ihrer Geschäftstätigkeiten und Investitionen berücksichtigt und/oder Nachhaltigkeit auf Basis der 17 UNO-Ziele „Nachhaltige Entwicklung“- sogenannte SDGs (Sustainable Development Goals) angewandt wird. Letztere wird ebenfalls bei der Bewertung eines Beitrags von Wirtschaftsentitäten zur Verbesserung von Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft genutzt. Anzufügen ist, dass es bei SDGs im Rahmen der Beurteilung ‚Nachhaltiger Entwicklungen‘ insbesondere darum geht, Wohlstandgefälle zwischen entwickelten, sich entwickelnden und unterentwickelte Staaten zu reduzieren.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen kann auch im Rahmen eines Risikomanagements interpretiert werden, wobei es darum geht die finanziellen Risiken eines Unternehmens bezogen auf die drei ESG-Faktoren einzuschätzen. Dabei wird die Unternehmensverantwortung gefördert, indem einerseits relevante Wirkungen aus der Umwelt und Gesellschaft auf das Wirtschaften der Unternehmung und andererseits die relevanten Auswirkungen des Businessmodells der Unternehmung (Betreib, Produkte und Anwendung der Produkte) auf Mensch und Umwelt analysiert werden, d.h. „doppelte Wesentlichkeit“). Eine „einfache Wesentlichkeit“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass bei der Einschätzung finanzieller Risiken nur auf die relevanten Wirkungen aus der Umwelt und Gesellschaft auf das Wirtschaften der Unternehmung betrachtet werden.
Natürlich ist Nachhaltigkeit auch in der Finanzbranche ein wichtiges Thema, da Finanzströme im Wirtschaftssystem eine zentrale Rolle spielen und somit eine positive Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft erzeugen könnten. Eine Nachhaltigkeitsberichterstattung kann beispielsweise von einem Finanzinstitut über ihre eigenen Geschäftsprozesse und Liegenschaften erstellt werden. Doch wie werden ihre Finanzprodukte (z.B. Fonds, Kreditvergaben) im Sinne der ‚doppelten Wesentlichkeit‘ bewertet? Dafür müssten die Basiswerte ihrer Finanzprodukte beurteilt werden, wobei als Grundlage die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen, welche die Basiswerte ausmachen, herangezogen werden müssten. Aus Sicht der Finanzinstitute oder -intermediären wäre das eine Art Bewertung der Zulieferer von Basiswerten (supply chain assessment).
Dazu gibt es unterschiedliche Sichtweisen bei Investoren. Einige sind der Meinung, dass eine solche ‚doppelte Wesentlichkeit‘ schlicht nicht machbar sei, und auch dazu führe, dass bestimmte Basiswerte in „arbiträrerer“ Weise – bspw. über ein ESG-Rating - ausgeschlossen würden, was zu einer Minderung von Renditen führe. Die Aufgabe des Risikomanagement bei der Bewertung von Finanzprodukten habe sich auf die ‚einfache Wesentlichkeit‘ zu beschränken und müsse rein auf die Maximierung der Rendite fokussieren. Für die Unternehmen der Basiswerte hiesse das also, Risiken zu minimieren und Profit zu maximieren – eine Konstellation, welche Anreize fördert Risiken zum Beispiel in Bezug zu Umwelt und Gesellschaft möglichst auszulagern (zu externalisieren) und/oder exponierte Einheiten möglichst loszuwerden. Im Weitern hätten Finanzprodukte, welche mittels ESG-Standards im Sinn der ‚doppelten Wesentlichkeit‘ geprüft (ESG-Rating) und vermarkten würden, nur scheinbar eine positive Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft und würden nicht besser rentieren als konventionelle Produkte. Es handle sich also um nichts Weiteres als «Greenwashing».
Obwohl diese Sichtweise bzw. Kritik in bestimmten Fällen zutreffen kann, geht es bei ESG grundsätzlich jedoch darum auch in der Finanzbranche den Begriff der Nachhaltigkeit einzuführen, um damit Anreizsysteme und Rahmenbedingungen zu schaffen, welche eine Entwicklung in Richtung nachhaltiges Wirtschaften mit wahren Preisen sowie in Richtung ‚Grüne Wirtschaft‘ ermöglicht. Dazu gehört auch die Einführung standardisierter Nachhaltigkeitskriterien bei der Finanzierung und im klassischen Kreditgeschäft (z.B. nachhaltigkeitsbezogene Kredite und Anleihen - Green Loans, Green Bonds). Um der Kritik gegenüber dem ESG-Rating entgegenzuwirken, sind internationale Standardisierungen (ISO-Standards) und Akkreditierungen von ESG-Rating Spezialisten Voraussetzung (vgl. EU-Parlament).
Interessanterweise hat sich die ISO-Standardisierung anfangs vor allem auf Umweltschutz bzw. den Aspekten von Umweltbelastungen fokussiert (ISO 14000 Serie). Erst später wurde der Begriff der Nachhaltigkeit im Sinne des Dreisäulen-Prinzips aufgenommen. Es wurde dabei erkannt das zwischen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft sich gegensätzliche Wirkungen entfalten können und die richtige Definition und Wahl von Nachhaltigkeitskriterien – zum Beispiel im Rahmen des ESG-Standards – und deren Messung zentral sind. Nachhaltigkeitskriterien müssen in ihrer Funktionalität, Wichtigkeit und Signifikanz dargelegt werden können und sollten im Sinne der ‚doppelten Wesentlichkeit‘ effektiv messbar sein und/oder nachvollziehbar hergeleitet werden können.
Es ist jedoch schwierig die relevanten Nachhaltigkeitsaspekte wegen ihrer Komplexität erfassen zu können, sodass Nachhaltigkeitsindikatoren und -metriken auf bestehenden Erfassungs- und Bewertungsverfahren aufbauen sollten. Einer robusten Messung steht jedoch immer die effektive Verfügbarkeit von Daten gegenüber, sodass neben quantitativen Kennzahlen, oft auch qualitative Kennwerte aufgenommen werden müssen. Es ist darauf zu achten, dass Nachhaltigkeitsindikatoren und -metriken sich auf das realistisch machbare fokussieren und vereinfachend sich eine relative, statt absolute Bewertung anschliesst. Für die Bewertung sind nachvollziehbare Nachhaltigkeitsziele festzulegen, sodass die Nachhaltigkeitsleistung qualifiziert werden kann.
Nichtdestotrotz verbleibt die Komplexität, dass Aktivitäten, Betreib und Produkte in den drei verschiedenen Nachhaltigkeitsbereichen unterschiedliche und gegensätzliche Wirkungen bzw. Auswirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft haben können. Seien dies positive und/oder negative, differenzierbare Auswirkungen, welche relevant für die Einschätzung von finanziellen Risiken und Chancen sind; - Risiken und Chancen, welche von aussen auf die Unternehmung oder aber gegen aussen auf Umwelt und Gesellschaft wirken (‚doppelte Wesentlichkeit‘). Bei Finanzprodukten ist somit die Analyse der Unternehmen zentral, welche als Basiswerte eruiert werden, um positive und negative Wirkungen geschickt austarieren zu können und somit im Sinne eines nachhaltigen Finanzwesens robuste Angebote entwickeln zu können. Es geht dabei nicht darum Branchen oder bestimmte Unternehmen einfach per-se auszuschliessen, sondern zu ermitteln, inwiefern Unternehmen zusammen möglichst positive Wirkungen in allen drei Bereichen der Nachhaltigkeit erzeugen können.
Ein interessanter Ansatz bietet dabei die zurzeit laufende Diskussion zur Kreislaufwirtschaft, wobei der Ansatz grundlegend die Zusammenarbeit von Unternehmen verschiedener Branchen voraussetzt (systemischer Kreislaufansatz bzw. die ‘Ökologie’ des Wirtschaftens). Anzumerken ist, dass gegenwärtig ISO Standards (ISO 59000 Serie) zur Kreislaufwirtschaft entwickelt werden (vgl. folgende Links: ISO, International Organization for Standardization; SNV, Schweizerische Normen-Vereinigung; Circular Globe). Ein Finanzprodukt, welches die Basiswerte von Unternehmen aufnimmt, die im Sinne der Kreislaufwirtschaft vernetzt wirtschaften, könnte ein zukunftweisendes Angebot für nachhaltigkeitsorientierte Investoren sein. Dabei wären die Maturität zirkulärer Geschäftsmodelle und die wertschöpfende Vernetzung dieser Unternehmen zu analysieren und zu bewerten, um damit eine sogenannte „Zirkularitätsleistung“ qualifizieren zu können.
Neben grundlegender Forderungen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Förderung des nachhaltigen Investierens (klima- und naturbezogene finanzielle Offenlegungen zu Risiken und Chancen), verspricht eine Kreislaufwirtschaft im Sinne der Nachhaltigkeit insbesondere auch im Umweltbereich Wirkungen zu erzielen, welche eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, den Schutz der Qualität von Wasser, Boden und Luft, die Eindämmung des Klimawandels und die Verbesserung der Artenvielfalt betreffen können (TNFD, Task Force on Nature-related Financial Disclosures).
Marco Semadeni, Dr. Sc. nat. ETH
06.03.2024