Bewerten von Nachhaltigkeit erweitern?

Von 3 Säulen zu 4 Säulen der globalen Nachhaltigkeit? - Unterstützt von DALL·E 3 / © M. Semadeni

Nachhaltigkeit bewerten

Das Konzept der Nachhaltigkeit soll die Transformation der Wirtschaft in Richtung «Grüne Wirtschaft» unterstützen. Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen in ihrer Nachhaltigkeitsleistung beurteilt werden können.

Unternehmen berichten darüber, wie profitabel ihr Geschäft ist und welchen Risiken sie ausgesetzt sein können. Immer mehr Unternehmen berichten nun auch darüber, wie umwelt- und sozialverträglich ihr Geschäft geführt wird, also wie nachhaltig gewirtschaftet wird und welche Ziele sich die Unternehmung gesetzt hat, um nachhaltiger zu werden.

Es sind aber nicht die Nachhaltigkeitsziele, die bewertet werden sollten, sondern die Leistungen des Unternehmens inwieweit sie ihre gesteckten Ziele erreicht hat und/oder überhaupt erreichen kann. Es nützt im Sinne der Nachhaltigkeit wenig grossartige Ziele zu publizieren, die nicht erreichbar sind. Ein ‘mehr Schein als Sein’ hilft einer Einführung und Etablierung effektiv nachhaltiger Geschäftsprozesse nicht.

Nachhaltigkeitsziele können im Rahmen einer geschäftsspezifischen Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet werden und mit entsprechend ausgewählten Nachhaltigkeitsindikatoren fassbar gemacht werden. Den Indikatoren unterliegen Metriken, um Messbarkeit und Nachvollziehbarkeit gewährleisten zu können. Auf dessen Grundlage kann die Verbesserung des Geschäfts in Richtung der Ziele bzw. die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens bewertet werden.

Je nachdem welche Geschäftsbereiche eines Unternehmens miteinbezogen werden, kann die Nachhaltigkeitsbewertung stark an Komplexität zunehmen. Zusätzlich müssen die Geschäftsbereiche in Bezug auf ihre unterschiedlichen Kontrolltiefen gegenüber definierten Nachhaltigkeitsindikatoren differenziert werden. ‘Scope 1’ bezeichnet dabei eine vollständige Kontrollierbarkeit der Nachhaltigkeitselemente durch die Unternehmung; ‘Scope 2’ eine teilweise Kontrollierbarkeit durch die Unternehmung (wie bspw. die Art der eingekauften Energie) und ‘Scope 3’ eine beschränkte Kontrollierbarkeit (z.B. Zulieferung/Lieferkette, Produkteanwendung).

Ein Aufbauen allein auf bestehenden Erfassungs- und Bewertungsverfahren kann also schwierig werden, sodass erst neue Metriken und Verfahren eingeführt werden müssen. Essenziell dabei ist jedoch immer die effektive Verfügbarkeit von Daten. Oft werden somit neben quantitativen Kennzahlen, auch qualitative Kennwerte aufgenommen, welche einem ‚Rating‘ (Punktebewertung) unterzogen wurden. Grundsätzlich sollen Nachhaltigkeitsindikatoren und -metriken sich auf das realistisch machbare fokussieren. Absolute Bewertungen sind oft nicht möglich oder viel zu aufwändig, daher werden zur Vereinfachung relative oder vergleichende Bewertungen, beispielsweise anhand von Benchmarks, herangezogen.

Dennoch verbleibt die Schwierigkeit, dass Aktivitäten, Betrieb und Produkte in den drei verschiedenen Nachhaltigkeitsbereichen (3-Säulen-Prinzip) unterschiedliche und gegensätzliche Wirkungen bzw. Auswirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft haben können; seien dies positive und/oder negative, differenzierbare Auswirkungen, welche relevant für die Nachhaltigkeitsbewertung sind. Dabei geht es in einem ersten Bewertungsschritt um die Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft und in einen zweiten Schritt auch um Wirkungen von Umwelt und Gesellschaft auf das Unternehmen (‚doppelte Wesentlichkeit‘). Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Wesentlichkeitsbeurteilung im Rahmen eines umfassenden Risikomanagement des Unternehmens zu berücksichtigen.


Erweiterung des 3-Säulen-Prinzips der Nachhaltigkeit

Zur Förderung der Transformation der Wirtschaft in Richtung «Grüne Wirtschaft» spielen neue Technologien eine wesentliche Rolle. Einerseits geht es um Technologien für die Produktion und Bereitstellung von Energie für die Wirtschaft und Haushalte, welche zur Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit beitragen sowie möglichst geringe CO2-Emissionen generieren sollen. Andererseits geht es um Technologien, welche für die Bereitstellung von Rohstoffen und für die Produktion von Zwischen- und Endprodukten möglichst keinen Abfall generieren. Neue Produktionstechnologien sollten daher möglichst sekundäre Rohstoffe (z.B. aus Recycling-Prozessen) nutzen können, statt fortwährend primäre Rohstoffe konsumieren zu müssen. Neue Produktedesigns sollten zu Produkten führen, welche intelligent zusammengesetzt sind, sodass bei Defekt oder Lebensende sie zur Wieder- oder Weiterverwendung einfach in ihre Komponenten zerlegt und einem Kreislauf zugeführt werden können. Ein Kreislauf kann die eigene Produktion innerhalb des Unternehmens bereichern oder aber in Kooperation mit anderen Unternehmen und Branchen einen externen Kreislauf bedienen. Da Technologien für ein nachhaltiges Wirtschaften und für die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft eine grosse Bedeutung zu kommt, wird vorgeschlagen dem 3-Säulen-Prinzip der Nachhaltigkeit eine vierte Säule, die der ‘Technologie’, beizustellen (vgl. Kreislaufwirtschaft als Strategie der Zukunft, A. Münger, Haufe, Juli 2021).

Ansätze, um eine vierte Säule ‘Technologie’ in die Nachhaltigkeitsbewertung aufzunehmen, könnte im Technologie-Assessment liegen. Dabei müssen auch Aspekte des Designs der Produkte, beispielsweise nach dem Prinzip von ‘Cradle-to-Cradle’, in Bezug auf Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit bewertet werden; z.B. in Anlehnung an das Zertifizierungssystem der Environmental Protection Encouragement Agency epeaswitzerland (Cradle to Cradle Certified® des Cradle to Cradle Products Innovation Instituts) oder mittels Bewertung des Produktelebensweg (Lebenszyklusanalyse ‘Life Cycle Analysis’). Im Weitern müssen die Elemente der Produktionskette im Sinne des Produktedesigns z.B. nach ‘Circular Design’ (vgl. Ellen MacArthur Foundation’s Circular-Design-Guide) oder nach den Prinzipien von ‘Eco-Design’ (vgl. Ecological Systems Design der ETH Zürich) bewertet werden.

Entsprechende Zielrichtung dieser Bewertungsansätze wäre beispielsweise die Wiederverwendbarkeit und Rezyklierbarkeit von Produktekomponenten zu erreichen. Mit Einbezug einer vierten Säule würden also den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Bewertungsaspekten eines Designs noch eine technologische beigefügt, das mit Hilfe des sogenannten ‘Design Circular’ Konzepts von A. Münger angegangen werden kann (vgl. Kreislaufwirtschaft als Strategie der Zukunft, A. Münger, Haufe, Juli 2021).

Um sich für ein Unternehmen einen ersten Überblick zu verschaffen, müsste der konkrete Zweck der verschiedenen im Unternehmen eingesetzten Technologien bzw. Techniken zugeordnet werden und dann eruiert werden, inwieweit sie Abfälle erst gar nicht generieren und/oder ob sie Abfälle als Sekundär-Rohstoffe in Stoffkreisläufen der Kreislaufwirtschaft einspeisen können. Eine Eingliederung der Techniken im Sinne der ‘4 Rs’ nachhaltiger Betriebsabläufe – Reparieren, Wieder- oder anderweitig verwenden (Re-use), Rezyklieren, Reduzieren (von Abfall, Material-/Energieverbrauch) - und mit den zusätzlichen drei Rs aus dem Kreislaufmodell – Revidieren zur Wiederverwendung (Re-fit), neu Zusammensetzen mit zum Teil neuen Komponenten (Re-build) und Wiederherstellen bzw. als sekundär-Ressource etwas Neues daraus erschaffen (Re-furbish) wäre ein erster Schritt, um eine detailliertere Übersicht zu gewinnen. Daraus könnte eine Strategie zur Umsetzung eines unternehmens-spezifischen Kreislaufmodells erarbeitet werden (vgl. Kreislaufwirtschaft als Strategie der Zukunft, A. Münger, Haufe, Juli 2021).

Natürlich geht es generell darum die eingesetzten Technologien bzw. Techniken in ihrer Wirkung auf Mensch und Umwelt und im Rahmen des Geschäftsmodells auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit zu bewerten. Beispielsweise könnte sich ein ‘Re-furbish’ zu einem neuen Produkt durch Verfügbarkeit günstiger sekundär-Ressourcen wirtschaftlich rechnen lassen, jedoch aber zur Akkumulation von schädlichen Inhaltstoffen im neuen Produkt führen (etwa bei der Umwandlung von Rückbauabfällen in sekundäre mineralische Rohstoffe für rezyklierte Baustoffe, vgl. Bundesamt für Umwelt BAFU).

Eine weitere Herausforderung für die Bewertung eingesetzter bzw. verbesserter Technologien und Verfahren eines Unternehmens im Sinne der Nachhaltigkeit (Scope 1) liegt auch in der Gewährleistung, dass zugrundeliegende Daten und Informationen, technologisches Knowhow bzw. Patente und geistiges Eigentum geschützt bleiben müssen. Im Weitern dürfte eine Bewertung der Zulieferkette und der Produkteanwendungen im Rahmen einer vierten Säule ‘Technologie’ aufgrund limitierter Informations- und Datenverfügbarkeit schwierig zu bewerkstelligen sein (Scope 3). Um diese Herausforderungen zu meistern, müsste das Geschäftsverhalten durch entsprechende Anreize gefördert werden.

Dennoch, ob all den verschiedene Standards in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und -bewertung und deren laufenden Weiterentwicklungen, ist es verwirrend für Unternehmen Nachhaltigkeitsanforderung anzugehen. Bevor man nämlich über Nachhaltigkeit berichten bzw. die Nachhaltigkeitsleistung bewerten kann, müssen in der Strategie gewählte Nachhaltigkeitselemente in der Unternehmung erst eingeführt werden.

Unterstützung durch die Global Reporting Initiative (GRI), verstärkt durch die Deutsche ‘Corporate Sustainability Reporting Directive’ (CSRD), den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) und die ‘European Sustainability Reporting Standards’ (ESRS), sowie Unterstützung durch die ‘UN Sustainable Development Goals’ (SDGs) für Nachhaltige Entwicklung oder durch die International Organization for Standardization (ISO) - mit ihren Standards für Umweltmanagementsysteme ISO 14001 und für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung ISO 26000 - sind natürlich alle wichtig und überaus hilfreich. Die Umsetzung dieser Standards bleibt jedoch sehr aufwendig. Anzumerken ist, dass gegenwärtig ISO Standards (ISO 59000 Serie) zur Kreislaufwirtschaft entwickelt werden (vgl. folgende Links: ISO und SNV (Schweizerische Normen-Vereinigung) sowie Circular Globe), welche bei einer Zusammenführung von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft über die vierte Nachhaltigkeits-Säule ‚Technologie‘ gegeneinander abgestimmt werden müssten.

Solche ESG-Standards mit ihren Faktoren Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung (environmental, social, and governance factors) basieren auf dem „3-Säulen-Prinzip der Nachhaltigkeit“ und müssten in Bezug zur vierten Säule ‚Technologie‘ entsprechend erweitert werden. Zu erwähnt ist, dass auch entsprechende Finanz- und Buchhaltungsanforderungen (z.B. auf Basis branchenbasierten SASB-Standards des IFRS oder der Standards von TCFD, Task Force on Climate-related Financial Disclosures, beziehungsweise von TNFD, Task Force on Nature-related Financial Disclosures) überprüft und allenfalls erweitert werden müssten.

Viele Standards sehen Vereinfachungen für KMUs in Praktikabilität und Transparenz vor, welche die Anforderungen beispielsweise bezüglich Systemgrenzen (Scope 1-3) oder Datenbeschaffung für KMUs anpassen. Es geht darum sich auf das Machbare zu beschränken und mit einer vernünftigen, branchenspezifischen Wahl von Nachhaltigkeitsindikatoren eine Bewertung zu ermöglichen und Verbesserungspotentiale im Vergleich zu Branchen-Benchmarks aufzeigen zu können.

Ein gutes Beispiel solch praktikableren und transparenten Nachhaltigkeitsratingsystemen stellt das ‘esg2go’ Rating & Reporting System dar, welches bei der Erfüllung der gesetzlicher Umwelt-/Nachhaltigkeitsauflagen hilft und darüber hinaus Zusatznutzen für Umwelt, Gesellschaft und zukünftige Generationen sowie für das Geschäft und die Wirtschaft stiftet. Das Rating & Reporting System kann auch für grössere Kunden (vgl. https://esg2go.org/enterprise) oder Verbände (vgl. https://esg2go.org/association) angewendet werden, um beispielsweise Lieferketten für das Nachhaltigkeits-Reporting und -Bewertung miteinschliessen zu können.

Technologien als essenzielle Elemente für das Umsetzten einer globalen Kreislaufwirtschaft in der Nachhaltigkeitsbewertung miteinzubeziehen, wäre ein wichtiger Schritt. Das entsprechende Aufzeigen von technologischen Verbesserungspotentialen zum Schliessen von Kreisläufen zwischen unterschiedlichen Branchen bietet einen interessanten Ansatz, um auch Informationen zwischen Unternehmen im Sinne der Kreislaufwirtschaft austauschen zu können. Die Zusammenarbeit von Unternehmen verschiedener Branchen ermöglicht dabei Optimierungspotentiale zu erkennen und miteinander anzugehen (systemischer Ansatz einer Kreislaufwirtschaft bzw. die ‘Ökologie’ des Wirtschaftens). Dem Gelingen müsste aber ein gegenseitiger finanzieller Nutzen entspringen. Falls dieser (zurzeit noch) zu gering ausfällt, müsste mit Hilfe von finanziellen Anreizsystemen und klar definierter, regulatorischer Bedingungen (z.B. abfallseitig) das Umsetzen des Kreislaufs gelenkt werden.

Das Ziel wäre eine Kreislaufwirtschaft umzusetzen, welche Wirtschaftswachstum generieren kann, ohne dass die Nutzung bzw. Abbau natürlicher Ressourcen für das Ankurbeln der Wertschöpfungskette ständig gesteigert werden muss.


Marco Semadeni, Dr. sc. nat. ETH

16. Mai 2024

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